Das Tragetuch/ die Tragehilfe: Mehr als ein Transportmittel – Die beste Therapie für viele Kinder

Das Tragetuch ist ein heiß diskutiertes Thema. Wer mit einem Kind im Tragetuch durch die Stadt geht, erfährt entweder begeisterte Zustimmung oder erboste Empörtheit von Passanten jeden Alters. Nach meinen Erfahrungen als Kindertherapeutin und als Mutter eines „Tragetuchkindes“ betrachte ich es als unsere Aufgabe, die Eltern der Kinder in unseren Praxen und in den Kinderkliniken zum richtigen Tragen anzuleiten. Denn das Getragenwerden ist für viele der Kinder die beste Therapie.

Spezifische Vorteile aus physiotherapeutischer Sicht

Kinder mit angeborener Hüftdysplasie sind im Tragetuch gut aufgehoben

Evelin Kirkilionis hat beschrieben, dass Kinder, die seitlich auf dem Becken der Eltern sitzend getragen werden, automatisch den optimalen Hüftspreizwinkel für die Behandlung der Hüftdysplasie einnehmen. Zusätzlich wirkt die ständige Bewegung als formativer Reiz des Femurkopfes auf die Hüftpfanne. Häufig getragene Kinder mit Hüftdysplasie zeigen weniger Probleme mit der Beckenaufrichtung. Das Tragetuch ist eine optimale Alternative zur Spreizhose, die präventiv oder in Absprache mit dem Arzt eingesetzt werden kann, vorausgesetzt, die Tragetechnik ist korrekt.

Frühgeborene können im Tragetuch etwas von der geborgenen Zeit im Mutterleib nachholen

Das Frühgeborene musste auf viele Wochen der Geborgenheit im Mutterleib verzichten. Der enge Körperkontakt ist für diese Kinder lebenswichtig, was auch in Tierversuchen und Beobachtungen (z.B. am Johns-Hopkins Hospital) bestätigt wurde: intensive Zuwendung führt zu deutlicher Gewichtszunahme. Daher haben „Känguruhen“ (Haut-zu-Haut-Kontakt) und Babymassage Einzug in Frühgeborenenstationen gehalten. Das Getragenwerden ist von enormem Nutzen für die infektgefährdeten und zarten Frühchen.

Kinder mit zentralen Koordinationsstörungen oder Entwicklungsrückständen erhalten im Tragetuch eine Fülle fördernder Reize

Das Bewegungsverhalten dieser Kinder weicht von der Norm ab, oft begleitet von einem abnormen Muskeltonus.

  • Das „feste Kind“ wird durch permanentes Bewegtwerden weicher und geschmeidiger, was die therapeutische Ausgangsbasis verbessert.
  • Die hypotonen Kinder werden wacher, interessierter, und ihr Muskeltonus nimmt zu.

Während des Tragens erfahren die Kinder eine Vielzahl von Reizen (Bewegtwerden, Gedrücktwerden, Gerüche, Wind, Lärm) in einer sicheren Umgebung. Dies liefert fortlaufend Informationen an das Gehirn, ohne das Kind zu überfordern: „Deutliche Reize in sicherer Umgebung [sind] wahre Entwicklungsimpulse für das Gehirn.“

Darüber hinaus wirkt das Tragen regulierend auf die frühkindlichen Reflexe. Durch die rhythmischen Bewegungen, die Körpernähe und die vestibuläre Stimulation werden Restaktivitäten primitiver Reflexe wie des Moro-, Greif- oder Tonischen Labyrinthreflexes sanft integriert. Diese Reflexintegration ist entscheidend für eine stabile motorische Entwicklung, die Koordination und spätere Lernprozesse.

Bewegung, Gleichgewicht und sensorische Rückmeldungen, wie sie beim Tragen ständig stattfinden, unterstützen die Reifung des Nervensystems und fördern die Selbstregulation (vgl. Goddard Blythe, Reflexe, Lernen und Verhalten, 2016).

Quellen

  • Kirkilionis, E. (2022): Ein Baby will getragen sein – Alles über das Tragen und seine Vorteile. Psychosozial Verlag.
  • Fettweis, E. (2004): Hüftdysplasie: Sinnvolle Hilfen für Babyhüften. MVS Medizinverlage.

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